
Musik ist für mich lebensnotwendig. Ich liebe es, Musik zu machen, sie hilft mir, meinen Weg in dieser Welt zu finden. Ich bin ein Kopf-Mensch, und die Musik unterstützt mich dabei, mehr auf mein Herz zu hören. Ich glaube, dass sich in ihr ein Teil meiner Seele offenbart. Als Straßenmusiker ist meine alltägliche Erfahrung mit der Musik sehr ich-bezogen. Durch meine Reisen und die Erfahrung, auf der Straße Musik zu machen, habe ich meinen ganz eigenen, persönlichen Weg gefunden, mit den Menschen zu kommunizieren. Wenn jemand auf mich zukommt und sagt: „Danke, du hast mir den Tag gerettet“, ist das eine ganz besondere Freude. Es lässt mich verstehen, dass die Zuhörer nicht nur meine Melodien bewegen, sondern merken, dass die Musik mich mit meinen tiefsten Emotionen verbindet, sodass sie anfangen, auch in sich selber hineinzuhören.
Früher habe ich in Uruguay an einer Musikhochschule studiert. Aber dort habe ich nicht zur Musik gefunden, denn es gab sehr viel Konkurrenzdenken und die Studenten waren wie Wettkämpfer, die gegeneinander antraten. Von den alten musikalischen Meisterwerken blieb nicht mehr als ein trauriges Gerüst zurück, denn sie wurden quasi totgespielt von den gelangweilten Schülern. Für mich ist Musik etwas Anderes, eine spirituelle Erfahrung, aber auch ein Heilungsprozess.
Ich bin in einem Vorstadtviertel von Salvador de Bahía in Brasilien aufgewachsen, einer armen Nachbarschaft, die viele Charakteristika von Stadtteilen vereint, die man gemeinhin als „Favela“ bezeichnet. Dort gab es viel Natur, viele Obstbäume, der Strand lag ganz in der Nähe. Ich habe eine schöne Kindheit verbracht. Zusammen mit den anderen Kindern haben wir Fußball gespielt und Capoeira getanzt. Aber ich wusste, dass ich diesen Ort bei der erstbesten Gelegenheit verlassen würde, denn dort lebten nur Menschen, die es gewohnt waren, die Sklaven einer gesellschaftlich höheren Klasse zu sein – Menschen, die keine Hoffnung darauf hatten, ihren niedrigen sozialen Status zu ändern. Als Kind muss man in meinem Viertel aufpassen, nicht auf die schiefe Bahn zu geraten. Der größte Wunsch von vielen war es, Polizist zu werden. Die Favela hat für mich zwei Seiten: Einerseits symbolisiert sie die Schönheit und Zufriedenheit eines einfachen Lebens. Andererseits ist sie Heimat von vielen Menschen, die eine Menge erleiden müssen und benachteiligt werden.
Meine Stadt ist sehr touristisch, und die ausländischen Besucher, die ich dort kennen gelernt habe, haben mir gezeigt, dass es Lebensweisen gibt, die sich zutiefst von dem sehr verwurzelten Lebensstil meines Volkes unterscheiden. Einige der Verhaltens- und Denkweisen, die ich aus der ignoranten Haltung meiner Mitbürger bestimmten Themen gegenüber entwickelt habe, konnte ich dadurch abgelegen, dass ich mich nicht mehr nur mit einer Kultur identifiziert habe. Das ist mir später bewusst geworden. Und ich habe auch gemerkt, dass ich so mehr Verständnis und Mitgefühl für die Anderen aufbringen konnte. Wenn es etwas gibt, das ich an der Einstellung der Menschen ändern wollen würde, dann sind das die Gefühle von Überlegenheit, Hierarchie und Konkurrenz, denn das sind wirklich große Illusionen, denen wir uns hingeben.