
Ich heiße Fitz Roy in Anspielung auf den gleichnamigen Berg, der die natürliche Kulisse meiner Wahlheimat El Chaltén in Argentinien dominiert. Das Dorf liegt im südlichen Patagonien, mitten in der Gebirgskette der Anden und kurz vor der chilenischen Grenze. Ich bin in Bariloche im nördlichen Patagonien aufgewachsen, doch eine familiäre Mission hat mich hierher in den Süden verschlagen: Mein Urgroßvater war der erste Bewohner des Gebietes, auf dem heute El Chaltén steht. Andreas Madsen war ein entdeckungsfreudiger, anpassungsfähiger Däne, der im Jahr 1901 mit der ersten chilenisch-argentinischen Grenzkommission nach Patagonien gekommen ist. Das Gebiet war quasi unbewohnt, da in diesen Breitengraden die schwierigsten Witterungsbedingungen herrschen – kurze, unbeständige Sommer; dunkle, stürmische und frostige Winter. Dazu kam die fehlende Infrastruktur, die Reisende und Anwohner komplett isolierte. Die ersten Ansiedler waren, wie Andreas, zumeist skandinavischer Herkunft und lebten von der Schafszucht auf ihren weitläufigen Farms. Die einmalig im Jahr stattfindende Handelsreise zum 300 Kilometer entfernten Hafen an der Küste dauerte mit den damaligen Pferdekarren noch gut einen Monat. Mein Urgroßvater trotzte all diesen Bedingungen und verbrachte als erster Ansiedler der ganzen Region (neben den Ureinwohnern, die nomadisch und weitläufig verteilt lebten) auch mal ein halbes Jahr vollkommen alleine und abgeschottet in seinem kleinen Gutshaus.
Dieses Gebäude, das erste von El Chaltén, steht noch heute, und das ist auch der Grund, weswegen ich meine Tätigkeit als Skilehrer und Bauingenieur in Bariloche aufgegeben habe und in den Süden gezogen bin. Ich möchte diesen historischen Ort erhalten und Besuchern seine 100-jährige Geschichte näherbringen. In den Sommermonaten lebe ich nun hier und verdiene meinen Lebensunterhalt damit, Führungen durch mein als kleines Museum umgestaltetes Haus zu organisieren. Das ist ein alternatives Angebot zu den sonst eher sportlichen Tagesaktivitäten, die typischerweise in der Bergwelt von El Chaltén angeboten werden - besonders ältere Menschen, Familienurlauber und historisch interessierte Besucher freuen sich darüber. Für mich ist es ein tagtäglicher Kampf gegen das Vergessen der Geschichte Andreas und seiner historischen Bedeutung in der Geschichte Patagoniens. Meiner Familie wurde über die Jahre der Großteil ihres Landbesitzes durch die Nationalparkgründung abgenommen beziehungsweise im Zuge der kontinuierlichen Bebauung von El Chaltén unter nicht eindeutigen Bedingungen abgehandelt. Darüber möchte ich aufklären und wenn möglich, einen Teil der historischen Ländereien meines Urgroßvaters zurückerobern. El Chaltén soll als das kleine, charmante Dorf bestehen bleiben das es ist, und nicht von großen Hotelblöcken zugebaut werden.
Obwohl ich auch schon einmal die langen Wintermonate im stürmischen Patagonien geblieben bin, fliege ich meistens gegen Ende der Sommersaison nach Frankreich, um meinen Adoptivsohn zu besuchen. Dann arbeite ich während der europäischen Sommermonate in Belgien, um mir meine Europareise finanziell leisten zu können. Außerdem bringe ich mich in der Boulderhalle für meine nächsten Kletterausflüge in El Chaltén körperlich in Form. Die Bergwelt von El Chaltén fasziniert mich, und meine persönliche Geschichte macht diesen Ort für mich noch wichtiger.