Mexiko-Tagebuch

Sandra on Tour: Das Mexiko-Tagebuch

Der Moment, wenn du in deine Tasche greifst und feststellst: Handy weg! Geklaut? Verloren? Auf jeden Fall seh ich das sicher nie wieder – schon gar nicht hier in Mexiko! Ich hab mich dennoch auf die Suche begeben. Was dann passierte, hätte ich selbst nicht für möglich gehalten. Tagebuch aus Mexiko

Tagebuch

Sonntag – 12.03.2017 – #

Handy weg! Oder: In Mexiko ist alles möglich

es war Sonntagmorgen und ich war auf dem Weg nach Xochicalco. Ein präkolumbianischer archäologischer Fundplatz 38 Kilometer südwestlich von Cuernavaca im mexikanischen Bundesstaat Morelos. Eine riesige Anlage bestehend aus Palästen, Pyramiden, Ballspielplätzen und Wohnhäusern zeugt von einer längst untergegangenen Kultur. Xochicalco entspringt der Nahuatl-Sprache und bedeutet „Am Ort des Blumenhauses“. Zur Blütezeit des Blumenhauses, um 800 n. Chr. herum, lebten hier 20.000 Menschen.


Ich war wahnsinnig gespannt auf diesen Trip. Geldbeutel, Kamera, Handy schnell in meine Tasche verstaut. Okay, ab in den Bus von Tepoztlán nach Cuernavaca. Cuernavaca: Einst blühende Stadt des ewigen Frühlings, Hochburg internationaler Sprachstudenten und Winterresidenz der Schönen und Reichen, jetzt eine laute, chaotische, stinkende Stadt voller leerstehender Häuser, weil die Narco-Kartelle Angst und Schrecken verbreitet haben. Die engen, lauten Straßen der Stadt zeichnen krumme Linien auf den vielen Hügeln – und in meinem Kopf. Verwirrt renne ich vor zum Fahrer und frage ihn, wo ich aussteigen soll, um den Bus nach Xochicalco zu nehmen. Hier? Sofort? Super!


Ich steige aus, laufe Richtung Busbahnhof und greife nach meinem Handy, um die Uhrzeit zu checken und ertaste – nichts. Jetzt keine Panik, es muss ja da sein. Zweiter Check. Dennoch: Ich finde es nicht. Verdammt! Das kann doch nicht wahr sein! Habe ich es tatsächlich im Bus liegen lassen? Oder hat es mir jemand beim Aussteigen geklaut?


Panik bricht aus


Auf jeden Fall hatte ich es im Bus noch. Denn dort hab' ich meiner Freundin Tanja noch von meinem anstehenden Abenteuer berichtet und lustige Fotos geschickt. Klar ist: In dieser chaotischen 365.000 Einwohner-Stadt mit ihren vielen kreuz und quer im Minutentakt fahrenden Bussen, und überhaupt: in Mexiko, ist es ausgeschlossen mein zugegeben recht altes, aber innig geliebtes Samsung Galaxy wiederzusehen. Es ist wirklich keine Schönheit mehr, das Display nach einer feucht-fröhlichen Nacht in Tepoztlán zersplittert, telefonieren kann niemand damit, ich habe den Vertrag in Deutschland ja auf Eis gelegt. Also durchatmen, alles halb so wild.


Doch Gedanken schießen mir wie Blitze durch den Kopf. All die Kontakte, natürlich nirgends gespeichert! Meine in etlichen Whatsapps mitgeteilten Gedanken und Gefühle, Anvertrautes meiner Freunde! Die unvorteilhaften Fotos von mir, die ich nie gelöscht hab, und oh nein – gab es da nicht auch diese Nacktbilder vom Verflossenen!? Mir ist klar: ich muss das Handy wieder in meinen Besitz kriegen, koste es, was es wolle. Jetzt nochmal alle Kräfte und jegliche Rationalität konzentrieren. Nichts ist unmöglich, allemal in Mexiko. Yes, you can! Go for it!


"Das siehst du nie wieder. Du bist hier in Mexiko."


Also beschließe ich, die eben im Panikzustand im Tante Emma-Laden gekaufte Zigarette nicht zu rauchen, nicht allzu viel auf die Meinung von Tante Emma zu geben („Dein Handy siehst du nie wieder. Du bist hier in Mexiko“), stattdessen aber mein Bestes. Eine Eingebung sagt mir, dass das Handy nicht weit sein kann. Aller Wahrscheinlichkeit nach müsste es gerade auf dem Weg zu Cuernavacas großem Markt und bald auf dem Rückweg nach Tepoztlán sein. Dass man in Mexiko lieber nicht von Wahrscheinlichkeiten ausgehen sollte, verwerfe ich. Dafür werfe ich mich vor das nächstbeste Taxi, schildere dem Fahrer meine Misere und bitte ihn, kräftig Gas zu geben, Richtung Markt. Was er auch macht. Er fiebert richtig mit. Teilt aber Tante Emmas Meinung, dass mein Handy für immer verloren sei. Kurz vor dem Markt ist kein Weiterkommen mehr, die Autos stauen sich. Also drück ich dem Fahrer einen Geldschein in die Hand, viel zu viel, und renne Richtung Markt, entwickle dabei übermenschliche Kräfte.


Dort steht schon der Bus nach Tepoztlán. Atemlos springe ich die Treppen zum Fahrer hoch. Doch ich kenne ihn nicht. Er mich ebenso wenig. Auch ihm erzähle ich meine Misere und auch er zeigt Mitgefühl. Ich zücke meinen Fahrschein, den ich wundersamerweise aufgehoben habe. Der Fahrer sagt, der Bus sei vor fünf Minuten Richtung Tepoztlán aufgebrochen. Ich sehe ihm verzweifelt in die Augen: „Was mach ich denn jetzt?“


Eigentlich sollte der Bus jetzt los. Aber der Fahrer steigt aus und geht mit mir zum Ticketschalter. Er zeigt der Verkäuferin mein Ticket, sie greift sofort zum Telefon. Falls das jetzt klappt, sollte die Verkäuferin doch tatsächlich anhand der Ticketnummer nun auch die richtige Telefonnummer wählen, und sollte tatsächlich jemand rangehen, dann bin ich nicht mehr in Mexiko. Das Land des immerwährenden Chaos. Oder doch? Mexiko ist immer für eine Überraschung gut.


Dinge geschehen, die in Deutschland unmöglich wären


Und tatsächlich: Die Verkäuferin schaut mich an mit ihren blau-kajalumrundeten Augen und sagt, der Fahrer würde nun anhalten und nach meinem Handy suchen. Echt jetzt? Während der Fahrt?! In Deutschland müsstest du erstens einen Antrag für sowas stellen und zweitens wäre es ohnehin gegen die Vorschriften. Ich kann's noch immer nicht glauben. Hoffnung steigt auf.


Schneller als gedacht – denn in Mexiko passiert vieles langsamer als gedacht – der Rückruf. Nochmal dieser tiefe Kajal-Augenblick, verbunden mit einem Nicken und der Botschaft: „Dein Telefon wurde gefunden“. Hab ich mich verhört? Ich kann´s noch immer nicht glauben, Tränen der Erleichterung steigen auf, ich falle Verkäuferin und Fahrer um den Hals, beide freuen sich mit.


Ein Übergabeort ist schnell vereinbart. An der nächsten Haltestelle wird Fahrer 1 das Handy Ticketverkäuferin 2 übergeben. Fahrer 2 bietet mir an, mich gratis dorthin mitzunehmen. Und tatsächlich: 15 Minuten später überreicht mir Ticketverkäuferin 2 mein altes, zersprungenes, geliebtes Handy.


Mexiko ist Chaos pur. Und dafür liebe ich es.


Der Kreis schließt sich. Genau wie die Straßen Cuernavacas in meinem Kopf. Und wieder einmal wird mir bewusst: Mexiko, das Land in dem Chaos und Verrrücktheit regieren, in dem nichts so kommt, wie man geplant hatte, ist immer für eine Überraschung gut. Das Unmögliche wird möglich. Wunder werden wahr. Und warum? Weil sich die Leute hier helfen, weil sie gelebtes Mitgefühl zeigen, weil sie mal nicht auf die Uhr schauen und nicht nur takten. Weil sie nicht perfekt sind.


Wenn ich wieder mal gefragt werde, ob ich eigentlich sicher bin in Mexiko, erzähle ich gerne diese Geschichte oder andere erlebten Geschichten dieser Art. Und dann freue ich mich, noch viele weitere wunderliche Abenteuer in diesem verückten, bunten, surrealen, ja – gefährlichen Land verbringen zu dürfen. Ein Land, in dem ich täglich Zeuge werde einer authentisch gelebten Hilfsbereitschaft und Mitmenschlichkeit.


Der Besuch in Xochicalco muss noch warten. Ich versuche es mit einem anderen „gewöhnlichen Sonntag“. Und ich schwöre – auf mein altes Samsung passe ich jetzt sicher ganz gut auf!

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