Urlaub im Kosovo: Warum das kleine Balkanland eine Reise wert ist

von Bernadette Olderdissen

Urlaub im Kosovo: Warum das kleine Balkanland eine Reise wert ist

Hast du schon mal daran gedacht, deinen Urlaub im Kosovo zu verbringen? Eher nicht, stimmt’s? Dabei ist das jüngste Land Europas mehr als eine ferne Kriegsnachricht: Es ist ein Top-Ziel für Fans von Bergen und orthodoxen Klöstern und ein Muss für jeden, der in Europa noch mal abseits der Trampelpfade reisen will.

Reisebericht

Ich habe es darauf angelegt. Will unbedingt einen der letzten „wilden“ Flecken Europas erkunden. Einen Ort, der noch nicht auf der Zielgeraden zu einem der sogenannten Geheimtipps ist, die die Pauschaltouristen innerhalb weniger Jahre besudeln wie die Mücken nackte Haut. Bevor ich mich auf den Weg mache, verbringe ich Zeit in Serbien und drücke auf den wunden Punkt Kosovo. „Kosovo ist Serbien!“, lautet die Devise. Dabei ist kaum ein Serbe jemals dort gewesen. Man könne dort unmöglich mit serbischem Autokennzeichen hinfahren, da würde man angegriffen. Diese Unmenschen hätten immerhin auch jede Menge serbisches Kulturgut geschändet. Ich werde gewarnt, nicht über den Kosovo aus Serbien auszureisen, das würde von Serbien nicht anerkannt. Dabei sind die Serben nicht die Einzigen, die den Kosovo nicht als das unabhängige Land akzeptieren, das es seit 2008 sein will: Auch für fünf EU-Länder existiert er nicht, darunter Spanien und Griechenland, und allein 110 von 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen erkennen die Unabhängigkeit an. Nur den Euro, den gibt es im Kosovo schon – seit 2002, als er die ab 1999 genutzte Deutsche Mark ablöste.

Im falschen Bus?

Im Bus von Novi Pazar in Serbien nach Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, klebe ich mit der Nase am Fenster. Fiebere der kosovarischen Grenze entgegen. Keine halbe Stunde später verewigt sich die „Republik Kosovo“ in meinem Pass. Ich warte, dass jetzt draußen alles anders wird. Bekomme Zweifel, ob wir wirklich im Kosovo sind: Serbische Flaggen säumen Straßenzüge, Autos haben serbische Kennzeichen. Bin ich im falschen Bus? Immerhin hatte er kein Zielschild. Aber ich habe den Stempel! Ich atme auf, als das Schild ‚Mitrovica‘ vorm Fenster erscheint. Der Name ist mit Blut befleckt – wegen heftiger Zusammenstöße zwischen Kosovo-Albanern und Kosovo-Serben 2004. Wir überqueren die Ibar-Brücke, die im Zentrum des Konfliktes stand. Und plötzlich ist alles anders. Statt serbischer Beflaggung herrscht albanische. Die Autos tragen RKS am Kennzeichen. Alle Beschilderungen sind auf Albanisch. Das Gebiet der serbischen Minderheiten ist vorbei.

Lost in Pristina

Da bin ich. Pristina. Zerre meinen Koffer zu einem Taxi. Mein einziges albanisches Wort ist ‚Faleminderit‘. Danke. Ob ich damit ein Dach über den Kopf kriege? Eigentlich solle er auf jemanden warten, erklärt mir der Taxifahrer auf Deutsch. Dann überlegt er es sich anders, lässt mich einsteigen. Als Adresse nenne ich irgendein Hotel im Zentrum, nicht teuer. Den Taxipreis vorab auszumachen, vergesse ich und stelle mich auf eine üble Rechnung und noch üblere Absteige ein. Der Taxifahrer erzählt von seiner Zeit im wunderschönen Deutschland während der Kriegsjahre, bis wir vor einem mehrstöckigen, modernen Gebäude mit der Aufschrift „Hotel“ halten. Die Fahrt kostet nur ein paar Euro und die Rezeptionistin spricht super Englisch. 25 Euro die Nacht ist für den Kosovo wahrscheinlich ein Wucher, aber ich nehme das Zimmer. Schon lande ich im sechsten und letzten Stock mit Weitblick über Pristina mit seinen Backsteinbauten und umliegenden Bergen.

"Ich habe kein Problem mit Serben, nur mit dem Regime"

Am Abend bin ich mit ‚Computerfreak‘ verabredet, den ich über die Couchsurfing-Seite kennengelernt habe. Seinen richtigen Namen dürfe ich nicht nennen, er könnte sonst Probleme bekommen wegen allem, was er mir erzählt. Wir treffen uns auf einem großen Platz vor einer Statue von Skanderberg zu Pferd. Aus Albanien weiß ich, dass er ein albanischer Nationalheld ist, weil er Albanien gegen die Osmanen verteidigte. Ihm gegenüber thront Ibrahim Rugova, der erste Präsident des Kosovo von 1992-2006, pferdlos. Computerfreak ist mager. Fast haarlos. Mit echt schrägen Zähnen. Kettenraucher. Und einem Gesicht wie ein Serienmörder-Darsteller in einer Soap Opera. Er geht mit mir im Fast-Food-Restaurant um die Ecke essen. Zum Glück irgendwas Einheimisches. Die meisten Leute im Kosovo äßen gerne Fast-Food, behauptet er.

„Die sind uns mittlerweile scheißegal!“

Dann plaudern wir. Über den Kosovo und Serbien. „Ich war als Junge in der kosovarischen Armee. Habe das Gemetzel der Serben gesehen. Kinder, Zivilisten. Dabei hatte ich selbst nichts gegen die Serben.“ Der ganze „religiöse Kram“ sei ihm am Allerwertesten vorbeigegangen, habe er doch eine katholische Mutter und einen muslimischen Vater. „Was mich sauer gemacht hat, war, dass die Serben albanische Lehrer gegen Serben ausgetauscht haben. Es sollte nur noch Serbisch unterrichtet werden. Wir haben uns dann privat Unterricht organisiert.“ Er habe immer für die Freiheit kämpfen wollen. „Ich habe kein Problem mit den Serben, nur mit dem Regime!“ Vorsichtig frage ich, ob ein Serbe wirklich Angst haben müsse, in den Kosovo zu fahren. Computerfreak lacht. „Die sind uns mittlerweile scheißegal!“ Andere Couchsurfer aus Pristina berichten dasselbe und sind sich einig: Es ist besser, mit dem eigenen Pass im eigenen Land unfrei zu sein, als dass einem mit dem falschen Pass, dem serbischen, die Welt offensteht.

Die neue alte Stadt

Dass es hässlichere Länder als den Kosovo gibt, um festzusitzen, verstehe ich in Prizren. Die Stadt ist gerade frisch herausgeputzt. Hübsche Häuser im Ottomanstil dominieren den Ortskern und die Hänge zur Festung. In die Kathedrale werde ich von der Polizei begleitet: Immerhin könnte ich eine albanische Kämpferin sein, die serbisches Kulturgut zerstören will. Auch vor der Muttergotteskathedrale Ljeviška auf halbem Weg zur Festung steht eine Wache. Kein Polizist, sondern ein Kosovo-Serbe, der vom Feuer 1999 erzählt, das die Kirche zerstörte. „Auch mein Haus wurde von den Albanern verbrannt“, berichtet der 70-jährige mit lodernden Augen. „Aber ich hab’s mir wieder aufgebaut!“

Oben auf der Festung stehe ich vor einem Schild: Sie werde dank eines von EU und US-Botschaft geförderten Projekts neu aufgebaut. Ich bin umgeben von Dutzenden Kindern und Jugendlichen, die nach der Schule dort spielen. Sitze auf den Steinen und genieße die Aussicht über rote Dächer, einen Fluss und Hügel. Noch hat der Weitblick keinen Preis, noch hält niemand die Kinder vom Spielen ab. Noch genieße ich eine Touristen-freie Zeit in einem Städtchen mit großem Touristen-Potential.

Mit dem Pass ins Kloster

Das berühmteste serbische Kloster im Kosovo, Dečani, wird sogar von der KFOR geschützt, der Kosovo-Truppe, einer seit 1999 aufgestellten militärischen Formation der NATO, die für ein sicheres Umfeld von zurückkehrenden Flüchtlingen sorgen soll. Es geht vorbei an Stacheldrahtzaun, hinter dem sich das Kloster schneeweiß von der Natur abhebt. Am Eingang inspiziert ein KFOR-Soldat meinen Pass, den ich abgeben muss. Gespannt betrete ich das Klostergelände aus dem 14. Jahrhundert, das die Serben noch heute als Teil ihres Staatsgebietes betrachten und das seit 2004 zum UNESCO Weltkulturerbe gehört. Unvorstellbar, dass dieser mucksmäuschenstille Ort mit seinem schummerigen Licht seit 1999 vier Mal Ziel von Mörserattacken geworden sein soll! Außer mir spazieren nur ein paar Mönche in schwarzen Roben umher.

Beim Sargmacher

Unweit von Dečani befindet sich Peja, wo ich mich auf einem Bazaar mit schräbbeliger Musik und einer Menge nicht brauchbarer Gebrauchsgegenstände fühle wie in Istanbul. Interessanter scheint mir das Patriarchenkloster, ebenfalls UNESCO-Weltkulturerbe. Es geht am Fluss entlang, raus aus dem Zentrum, und schon bald bin ich nicht mehr sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. Wie aus dem Nichts tauchen drei Gestalten vor mir auf, die sich nach mir umdrehen. Es sind zwei Frauen und ein Mann. Sie stecken die Köpfe zusammen, dann kommt eine Frau auf mich zu. Sie ist vielleicht 20. „Meine Mutter, mein Bruder und ich fragen uns, ob du Hilfe brauchst.“ Sie stellt sich als Ardita vor, und ich erzähle vom Patriarchat, das ich besuchen möchte. „Ich war vor langer Zeit dort“, berichtet die Mutter, Nel, in ebenso gutem Englisch wie ihre Tochter. Eigentlich darf man nur mit Pass rein, aber weil die Drei mich begleiten, dürfen sie mit. Was, wenn das doch albanische Kämpfer sind, die das Kulturgut in die Luft sprengen wollen?

Nel erklärt mir wie eine ausgebildete Fremdenführerin die Fresken des Begräbnisses des Heiligen Sava II. Ardita hält sich treu an meiner Seite, erzählt, dass sie vier war, als die Familie von Albanien per Boot nach Italien und von dort nach Deutschland fliehen musste. Nel packt der Ehrgeiz, mir möglichst viel von ihrer Heimatstadt zu zeigen. Ich könne unmöglich abfahren, ohne den Hammam besucht zu haben! Leider ist der wegen Umbaus geschlossen, doch Nel gibt sich nicht geschlagen. Im Kramladen sagt man ihr, den Schlüssel zum Hammam habe der Sargmacher. So lande ich bei Pejas Sargmacher, einem knollnasigen Mann, der auf eine neue Leiche hofft. Aber auch er kann den Schlüssel nicht rausgeben. Frustriert lädt mich die Familie auf einen Drink in den Semikomplex nahe des Busbahnhofs ein. Ganz oben rotiert ein Restaurant auf einer Plattform. Bei untergehender Sonne plant Ardita meinen nächsten Peja-Besuch. Es wird schwer, „Tung“ zu sagen. Tschüss.

Tipps für deinen Urlaub im Kosovo

Unterkunft

Es ist leicht, überall im Kosovo spontan eine recht preisgünstige Unterkunft zu finden.

Verkehrsmittel

Pristina kann man gut zu Fuß erkunden, und zwischen den Städten verkehren moderne, verkehrssichere Busse. Sollte man mal ein Taxi brauchen, sollte man den Preis vorher ausmachen – innerhalb Pristinas sollte es nicht mehr als 5 Euro kosten.

Essen und Trinken

Es stimmt – im Kosovo wird sehr viel Fast-Food gegessen. Man findet an jeder Straßenecke Läden, in denen man schnell was essen kann, sei es ein Kebab oder einen sonstigen Imbiss.

Sonstiges

Ich habe den Kosovo als absolut sicheres Land erlebt und hatte auch als allein reisende Frau keinerlei Schwierigkeiten. Man sollte sich nur darauf einstellen, öfters gefragt zu werden, ob man für eine Hilfsorganisation arbeite, denn die meisten im Kosovo befindlichen Ausländer arbeiten für eine solche.

Einige unserer Kooperationspartner

  • made with ♥