Klangwelten der Sahara: Musik und Stille in der tunesischen Wüste

von Bernadette Olderdissen

Klangwelten der Sahara: Musik und Stille in der tunesischen Wüste

Oasenstädte, Dünen und Weite charakterisieren den Süden Tunesiens, und wer einmal in der Wüste war, möchte in der Regel immer wieder hin. Besonders, wenn sich die Stille der Wüste mit Musik vereint: im Camp Mars in der Sahara, wo jährlich ein kleines Musikfest mit dem Motto ‚Musik und Stille‘ stattfindet. Ein Besuch lässt sich wunderbar verbinden mit einem Kameltrek, mit Jeep- oder Quadfahrten in den Dünen.

Man kann es sich kaum vorstellen: Die Sahara ist fast so groß wie die USA und 26 Mal größer als Deutschland. Eine Trockenwüste von neun Millionen Quadratkilometern. Der Name beschwört bei vielen den Traum von Weite, Leere und Stille herauf, dabei ist die Übersetzung des arabischen Wortes ‚sahara‘ ernüchternd – es bedeutet einfach nur ‚Wüsten‘. Für die Einheimischen ist sie ‚die große Wüste‘, auch das ‚Meer ohne Wasser‘. Mit Wellen aus Sand. Ein großer Teil dieses Meeres befindet sich im Süden Tunesiens. Ein Meer, das teils ganz still ist, aber auch von Sandstürmen geschüttelt wird. Und wo ab und an Musik erklingt. Ich tauche ein in die Heimat von Beduinen und Dromedaren, von Skorpionen und Wüstenvögeln.

Das Tor zur Wüste

Im Süden Tunesiens hat die Wüste ein Tor: die Kleinstadt Douz mit etwa 30.000 Einwohnern. Sie liegt wie eine Fata Morgana hinter einer endlosen Geröllwüste, durch die der Highway führt, in einer palmenreichen Ebene. Viele Bewohner gehören dem Volk der Mrazig an, nomadische Viehzüchter, die regelmäßig in die Wüste ziehen. Douz ist ein Schlaraffenland für Besucher, die sich vor dem Aufbruch wüstentechnisch vorbereiten möchten. In einem Geschäft werden Wüstenschuhe aus Leder genäht, deren Sohlen auf Sand besonders gut greifen. „Für ein Paar brauche ich drei Tage“, erzählt einer der Arbeiter. Kosten pro Paar: 35 Dinar, etwa zehn Euro. Neben den Wüstenschuhen findet man Wüstenhosen aus dünnem Stoff und mit weitem Schritt, perfekt für einen Kamelritt. Wichtig sind außerdem lange Schals, die man bei Sandstürmen um Kopf und Gesicht wickelt. Als Snack gibt es Datteln pro Kilo.

Geistig bereitet das Sahara-Museum Gäste auf ihre Wüstentour vor. Es geht um Menschen, Pflanzen und Tiere, darunter Schlangen, Skorpione, Käfer, Gazellen, Antilopen, Geparden und Hyänen. Um Vögel und Schmetterlinge. Wer glaubt, in der Wüste lebe nichts, wird hier eines Besseren belehrt. Dann folgt die erste Wüsten-Kostprobe: bei einem kurzen Dromedar-Ausritt zu Sonnenuntergang bei Offra, wo sich die größte Düne am Anfang der Sahara erhebt. Ein kurzer Moment auf dem Rücken des Tieres reicht aus, um mein Wüstenfieber zu schüren – ich will hinein in dieses scheinbar endlose Sandmeer.

Auf zum Mars

Die meisten Besucher wären in der Wüste ohne Guide sofort verloren – weshalb man auch mit einem eigenen Fahrzeug nur mit einem ortskundigen Tunesier in die Sahara fahren sollte. Einer davon ist Hammed, der bis zu seinem 17. Lebensjahr in der Wüste lebte. „Möchtet ihr einen Skorpion sehen?“ Hammed tritt auf die Bremse, steigt aus dem Geländewagen aus und dreht Steine um, bis er mit einem grünen Skorpion in der Hand zurückkommt. Er führt das schläfrig wirkende Tier zu den Lippen, küsst es. „Macht mir das nicht nach! Ich weiß genau, wie man mit dem Skorpion umgeht, damit er nicht sticht.“ Im Winter, zwischen September und Mai, halten die Wüstentiere eine Art Winterschlaf. „Im Sommer wimmelt es hier von Schlangen und Skorpionen und es sind um die 55 Grad – da können keine Touristen kommen.“

Bald geht es an einem langen Zaun vorbei, der den Jebil Nationalpark abgrenzt. Dort sollen sich die Gazellen wieder vermehren. Wenig später erscheint eine flache Hütte mit der Aufschrift ‚Café du Parc‘ an der Fahrbahn. Davor parken Geländewagen, Motorräder und Quads – ein letzter offizieller Stopp zum Blasenleeren und Kaffeetrinken, bevor die Wildnis beginnt. Die Sahara zeigt sich mal flach und karg, dann plötzlich hügelig und grün. Dazwischen tauchen auf einmal weiße Punkte auf: die Zelte des Camp Mars, 2008 von dem Tunesier Riadh Mnif und seiner Frau gegründet. Luxus in der Wüste, denn es gibt Doppel- oder Mehrbettzelte mit Betten, Teppichen, dicken Decken und einem Seidenvorhang, hinter dem sich ein Waschtisch sowie eine provisorische Toilette mit Plastiktüte befinden. Im großen Restaurantzelt werden Wein und Speisen wie typisch tunesisches Brik, Suppen, Wachteln mit Bulgur oder Dromedar-Goulasch serviert. Hinterm Camp thront der über 200 Meter hohe Tafelberg Tembain – der beste Spot, um den Sonnenuntergang wie auf einer riesigen Kinoleinwand zu erleben. Auch oder erst recht, wenn eine dicke Wolkenschicht das Spektakel zu vermiesen droht, im letzten Augenblick aber doch aufbricht. Denn dann bepinselt die Sonne den Himmel in kräftigsten Rot-, und Orange- und Pinktönen, und bemalt sogar die Sanddünen rot. Willkommen auf dem Mars!

Musik und Stille

Die Vorfreude auf den nächsten Tag, wenn Mnif zum vierten Mal das Festival ‚Musique & Silence‘ unweit des Camps veranstaltet, wächst. Die Besucher sitzen am offenen Lagerfeuer vor dem Restaurant, während einer der Küchenchefs mithilfe der Glut Fladenbrot backt. Camp Mars ist ein ökologisches Sozialprojekt, wo nicht nur das Küchenteam aus Einheimischen besteht. Auflage für einen Kredit war, dass nur Menschen aus der Gegend beschäftigt werden dürfen. „Seit der Revolution 2010 und 2011 kamen kaum noch Touristen, aber 2018 war wieder ein gutes Jahr für uns“, berichtet der Beduine Mohammed, 48, der das Café Tembain am gleichnamigen Berg betreibt. Wie das Camp Mars gewinnt auch er Sonnenenergie, an seiner einzigen Steckdose dürfen Besucher mal das Handy aufladen. „Ich verkaufe auch Benzin oder helfe, wenn jemand eine Panne hat“, erzählt er in fließendem Deutsch. Gelernt hat er die Sprache mit Touristen. Von Mai bis Oktober fahre er zurück nach Douz und arbeite in Palmengärten, doch am meisten liebe er das Leben draußen in der Wüste. Auf die Frage, was er sich für die Zukunft wünscht, weiten sich seine Augen. „Ich wünsche mir, dass alles so bleibt, wie es ist. Ich bin glücklich.“

Hinter dem Café Tembain packen die Musiker ihre Instrumente aus – ein Ensemble des in Tunesien bekannten Musikers Riadh Fehri aus Tunis. Die Klänge der beiden Violinen, einer Gitarre, einer Trommel und einer Oud, Kurzhalslaute, steigen vor der als Kulisse dienenden Felswand empor. Alle lauschen. Wenn der Applaus nach einem Stück abebbt, herrscht wieder Stille. Und ich glaube, ich bin nicht die Einzige, die der Symphonie aus Musik und Stille noch ewig lauschen könnte.

Wunschlos glücklich

Am letzten Tag spaziere ich durch die Dünen. Inhaliere die Stille. Am Nachmittag kommt Wind auf, zwar noch nicht in der Stärke eines Sandsturms, aber kräftig genug, um die feinen Körner wie Schaum über die Dünen zu blasen. Als ich mich hinsetze, gesellt sich ein schwarzer Vogel mit weißem Schwanz zu mir, dann ein orangefarbener Schmetterling. Die Weisheit über Schmetterlinge und Glück fällt mir ein, die einen beide nur dann finden, wenn man aufhört, sie zu suchen.

Mit der Sonne geht auch der Wind. Im Camp spielt die Musik weiter, doch mir steht der Sinn nach Stille. Ich finde sie auf einer Decke irgendwo in den Dünen hinterm Camp. Über mir ist das Himmelskino in vollem Gang, die Milchstraße manifestiert sich immer deutlicher. Über mir fällt ein Stern vom Himmelszelt, ich schicke ihm einen Wunsch nach. Auch dem zweiten und dritten. Nach fünf Wünschen wünsche ich mir etwas für meine Lieben. Nach dem zehnten lasse ich das Wünschen ganz sein. Die Stille um mich herum zieht in Herz und Kopf ein. Ich bin wunschlos glücklich. Wie Mohammed, der es verstanden hat: Manchmal sollte alles genauso bleiben, wie es jetzt gerade ist.

Diese Reise wurde unterstützt vom Fremdenverkehrsamt Tunesien.

Unterkünfte:

Douz: Hotel Offra. Infos gibt es hier.

Sahara: Camp Mars. Mehr Infos hier lesen.

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