Willkommen im Niemandsland – Auf der Grenze zwischen Süd- und Nordkorea

von Bernadette Olderdissen

Willkommen im Niemandsland – Auf der Grenze zwischen Süd- und Nordkorea

Stacheldrahtzaun, Minenwarnschilder und Soldaten in Hochwasserhosen und Sonnenbrillen – nicht euer Urlaubstraum? Dafür ist es aber garantiert ein Abenteuer der Extraklasse und eine unvergessliche Geschichtslektion: Eine Reise an die schärfst bewachte Grenze der Welt.

Reisebericht

Wie im falschen Film

Der Bus rollt durch Hügellandschaften, die in der Sommersonne vor sich hin dursten. Nur die hohen Stacheldrahtzäune sehen aus, als wären sie im falschen Bild gelandet, genau wie die daran baumelnden roten Schilder mit weißen Totenköpfen. Dass wir die Wolkenkratzer und Konsumtempel des 60 Kilometer entfernten Seouls erst vor einer Stunde zurückgelassen haben, ist kaum noch zu glauben. Wir, das sind die Glücklichen, die bei der DMZ-Tour in die demilitarisierte Zone dabei sein dürfen. Neben Ausflügen ins Niemandsland kümmert sich die USO, United Service Organization, die den Trip organisiert, vor allem um die Mitarbeiter des US-Militärs und deren Familien in Ländern, wo die US-Armee aktiv ist. Dabei wäre meine Teilnahme an der Tour, die Südkoreanern und auch chinesischen Staatsbürgern in der Regel untersagt ist, in letzter Minute fast an einem bedeutenden Punkt gescheitert: meinen Klamotten.

No-gos in Sachen Kleidung

Es gibt vieles, was an der Grenze nicht geht: ärmellose Shirts oder Tops. Shirts oder Tops mit verdächtiger Aufschrift. Kurze Hosen oder Röcke. Kleidung großer Varietät, was immer das auch bedeutet. Uniformen oder Sportkleidung wie Trainingshosen. Badelatschen oder Flipflops, Sandalen oder offene Schuhe. Militärkleidung. Übergroße Kleidung wie weite und lange Hosen, Sweatshirts oder Lederwesten. Und gleich nackt? Geht auch nicht. Warum der Aufwand? Im Bus kommt die Antwort: Die armen Soldaten aus Nordkorea hätten solche kuriose westliche Kleidung noch nie gesehen und könnten einen Kulturschock erleben.

Nordkorea so nah

Vor einem amerikanischen Camp an der Grenze zur DMZ geht der Fahrer in die Eisen und öffnet die Bustür – für einen gut 1,90 Meter großen, breitschultrigen amerikanischen Soldaten. Dem Gesicht nach könnte er bei einer Rotkäppchen-Inszenierung ohne Maske den bösen Wolf spielen, der alle fressen will. Auf der Uniform des MP – Militärpolizei – steht aufgestickt der Name Lundgren. „Kameras sind nur erlaubt, wenn ich es sage“, bellt er, „ansonsten werden sie beschlagnahmt!“ Er scheucht uns aus dem Bus, um uns zum Thema koreanische Geschichte zu briefen: Die DMZ sei 1953 nach dem Koreakrieg geschaffen worden und ziehe sich auf 248 Kilometern durch die koreanische Halbinsel. Die vier Kilometer Breite gehörten zu zwei Kilometern dem Süden, zu zwei dem Norden. Dabei sei Korea bereits nach Japans Kapitulation 1945 im Zweiten Weltkrieg geteilt worden – in eine nördliche Zone der Sowjetunion und eine südliche der USA.

Um tiefer in die DMZ vorzudringen, bis nach Panmunjeom, einem Dorf, das im Koreakrieg zerstört und in die JSA (Joint Security Area zwischen Nord und Süd) verwandelt wurde, müssen wir einen Bus des US-Militärs nehmen. Mitnehmen dürfen wir außer unseren Kameras nichts. „Wenn ihr mit Rucksäcken oder Taschen rumlauft, denken die Nordkoreaner, ihr hättet Waffen dabei und schießen auf euch!“

30 Sekunden auf nordkoreanischem Boden

Bald stehen wir vor einem Gebäude mit dem Namen ‚Freedom building‘ und werden hindurchgetrieben, als wäre uns Kim Jong-un persönlich auf den Fersen. Auf der anderen Seite landen wir vor einem klotzigen grauen Gebäude etwa 20 Meter entfernt – die nordkoreanische Variante des ‚Freedom building‘. Genau zwischen den Klötzen der großen Freiheit thronen drei himmelblaue Baracken, in denen Verhandlungen zwischen beiden Staaten stattfinden. Genau durch sie hindurch verläuft die Grenze zwischen Süd- und Nordkorea. Wir dürfen hineingehen – in Begleitung von südkoreanischen Soldaten. Würden wir von Norden kommen, wären es nordkoreanische. Sobald wir eine transparente Linie in der Mitte überqueren, ruft Lundgren stolz: „Jetzt seid ihr im kommunistischen Norden!“

Unsere südkoreanischen Militär-Begleiter wirken, als hätten sie ihr Faschingskostüm verfehlt: dunkelgrüne Hochwasserhosen, topfartige schwarze Helme mit koreanischen Schriftzeichen darauf und pechschwarze Sonnenbrillen – dazu halten sie im Einklang die Hände zu Fäusten geballt, als wollten sie uns gleich eine reinschlagen. Den Gesichtern nach gehören die Jungs noch in die achte oder neunte Klasse. Wieso die Sonnenbrillen, wage ich Lundgren zu fragen. „Damit der Feind ihnen nicht in die Augen sehen kann!“

Schon geht es wieder raus, brav in Reih und Glied. Ein paar Minuten lang dürfen wir noch nach Norden starren. Dort spaziert ein Soldat des Feindeslagers auf und ab, doch der hat immerhin eine vernünftige Hose an – 60 Jahre Rückstand hin oder her! Alle paar Schritte hält er inne, setzt ein Fernglas an die Augen, auf uns gerichtet.

Blei-Beflaggung

Vom bekleckerten Busfenster aus werfen wir einen Blick auf einen 160 Meter hohen Fahnenmast, an dem anscheinend bleischwer eine nordkoreanische Flagge hängt. Was nicht zuletzt daran liegt, dass sie tatsächlich aus einer Art Blei fabriziert wurde – aus so unzerstörbarem Material, dass sie höchsten ein Orkan zum Wehen bringt. Neben dem Mast, so Lundgren, befindet sich das nordkoreanische Propagandagebäude, von wo Parolen über die Grenze strömen. Gegenüber der nordkoreanischen Flagge, auf südlichem Boden, steht ein ähnlicher, jedoch ganze 60 Meter kürzerer Fahnenmast – woran die südkoreanische Fahne fröhlich in der Brise schwenkt. Direkt beim Mast haben die Südkoreaner ein ‚Freedom village‘, errichtet, wo ehemalige Bewohner des zerstörten Panmunjeom oder deren Nachkommen Fuß fassen durften. Die Regierung schenkte ihnen die Häuser, außerdem müssen sie nicht einmal Steuern zahlen – und genießen die Freiheit, ein unvergleichliches Stacheldrahtzaun-Panorama zu genießen sowie den nordkoreanischen Propagandameldungen als Erste lauschen zu dürfen.

Begrenzte Aussicht

Der nächste Halt erfolgt am dritten Infiltrationstunnel von 1978 – einem von vielen, die die Nordkoreaner gruben, um sich in den Süden einzuschleichen. Besucher erfreuen sich nun des Privilegs, ihn hinabzusteigen. Der Tunnel ist nichts für schwache Rücken: so niedrig, dass man nur gebückt hineinkriechen kann und so den Rest des Weges weitergehen muss. Als Belohnung wartet am Ende eine Überraschung: weiterer Stacheldrahtzaun!

Auf krumme Rücken und angeschlagene Köpfe folgt der Augenschmaus: Ein Observatorium, von wo wir wirklich hinüber in den Norden schauen können. Meine Kameralinse fährt aus. “Nichts da!” Lundgren stellt sich mir in den Weg und schickt mich zurück hinter eine dicke gelbe Linie in etwa fünf Metern Abstand zur Brüstung des Observatoriums. Von dort darf man fotografieren. Leider habe ich statt nordkoreanischer Wildnis nur die ausladenden Hinterteile meiner amerikanischen Mitreisenden auf den Bildern. Wieso der Zirkus? Laut Lundgren seien die Nordkoreaner nicht gerade scharf darauf, dass Touristen ihre Angelegenheiten heranzoomten und über die Welt verteilten. Lundgren bleibt mir eine Antwort darauf, warum die Südkoreaner dies unterstützen und die Fotoapparate der Besucher konfiszieren, schuldig.

Reisen nach Nordkorea sind langwierig

Vor uns breitet sich eine friedliche Berglandschaft aus, durch die ein Fluss plätschert. Die Grenze, die diese Landschaft entzweireißt, ist nicht einmal sichtbar. Ich komme nicht umhin, Menschen mit ihrer oft sinnfreien Grenzziehung und ihrem beliebten Freund-oder-Feind-Spiel wieder mal ziemlich dämlich zu finden. Während sich die Hügel und Berge dem Horizont entgegenstrecken, geht es für uns nicht weiter. Um nach Nordkorea zu gelangen, müssten wir einen kleinen Umweg über China in Kauf nehmen – nach zeitraubenden Anmeldungen und Betteleien, um in Nordkorea ein paar Tage lang und unter strenger Kontrolle all das sehen zu dürfen, was die Regierung zeigen möchte.

Endstation

Endstation unserer Tour ist der Bahnhof Dorasan, der 2002 erbaut wurde, als Süd- und Nordkorea einen großen Schritt in Richtung Wiedervereinigung unternahmen. Im Zustand der Euphorie wurde eine Eisenbahnstrecke nach Nordkorea verlegt, die über Pjöngjang weiter nördlich führen sollte. Diese Visionen zieren auf Postern die Wände des vollkommen leeren Bahnhofs. Dabei wäre er auf der Stelle betriebsfähig. Auf dem größten Plakat sind Schienen zu sehen, die auf den Horizont zuhalten, darunter die Aufschrift: Nicht die letzte Station vom Süden, aber die erste Station nach Norden. Eine schöne Idee.

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