Der Bloomsday in Dublin: Zeitreise in James Joyces Irland

Der Bloomsday in Dublin: Zeitreise in James Joyces Irland

Ein Festival zu Ehren eines Romanhelden? So etwas gibt es - natürlich in Irland! Jedes Jahr rund um den 16. Juni wähnt man sich auf einmal im Dublin des beginnenden 20. Jahrhunderts, wenn kostümierte Literaturbegeisterte voller Inbrunst Joyce deklamieren. Eine Zeitreise, die man erlebt haben muss!

Reiseinspiration

Literarischer Wegbereiter der Moderne

Die Meinungen sind gespalten, doch darüber, dass es sich bei James Joyces Ulysses um eines der bedeutendsten Bücher des 20. Jahrhunderts handelt, sind sich alle einig. Etwa 265.000 Wörter umfasst der Wälzer, der selbst Leseratten vor Herausforderungen stellt, und das nicht nur wegen seines Umfangs: Joyce lässt die Leser intensiv am Innenleben seiner Figuren teilhaben und wenn man seine Gedanken öfter mal schweifen lässt, weiß man, wie verworren das mitunter werden kann. Diese Erzähltechnik des stream of consciousness macht Ulysses nicht gerade zur lockeren Strandlektüre (dafür wäre das Buch wahrscheinlich im wahrsten Sinne des Wortes eh zu schwer), war aber wegbereitend für den Roman der Moderne. Ein unterhaltsamer Nebeneffekt ist auch, dass die Lesungen, die rund um den Bloomsday in Dublin stattfinden, so urkomisch sein können, wenn die Vortragenden ihre Zunge um die Endlossätze und Fantasiewörter biegen.

Warum der 16. Juni?

So mächtig Ulysses auch ist, es schildert nur einen Tag, den 16. Juni 1904, im Leben des Leopold Bloom, Anzeigenakquisiteur in Dublin. Die Wahl des Datums war eher persönlicher Natur, denn an ebendiesem Dubliner Frühsommertag soll Joyce seine erste Verabredung mit seiner zukünftigen Frau, Nora Barnacle, gehabt haben. In Anlehnung an Homers Odyssee wirft Joyce in 18 Episoden Fragen um elementare Themen des Menschseins auf, nimmt sich selbst und andere dabei aber nicht zu ernst, entwirft das Bild Dublins seiner Zeit und spielt dabei versiert mit Sprache. Ulysses gehört nicht gerade zu den klassischen “page-turnern”, aber wer sich der Herausforderung stellt, wird mit Seiten voller innovativen Sprachgebrauchs, fantasievoller Erzählungen, vielfältiger Anspielungen und Passagen verschiedenster Sprachstile belohnt.

Ein Tipp für alle, die sich erst einmal an das Werk herantasten möchten, ist Ulysses als Hörbuch oder die ‘Light-Version’ von Robert Gogan, der den Text dank zusätzlicher Satzzeichen leserfreundlich überarbeitete. Überaus gewitzt ist auch Gogans One-Man-Show “Strolling Through Ulysses”, die einem in ungefähr einer Stunde den Roman unterhaltsam näherbringt. Und wer überhaupt keine Lust aufs Lesen hat, sollte sich trotzdem nicht abschrecken lassen, denn der Bloomsday ist eine wunderbare Möglichkeit, Dublin zu erkunden, in eine vergangene Zeit einzutauchen und es sich schlicht und einfach bei einem Pint gut gehen zu lassen.

Die Anfänge des Bloomsday-Festivals

Joyce stellte seinen Roman im Jahre 1922 fertig, doch wegen des Vorwurfs der Obszönität dauerte es noch bis 1937, bis die erste vollständige englische Ausgabe veröffentlicht wurde. Die Kontroversen schadeten ihm nicht im Geringsten und so nahm der Ulysses-Kult seinen Lauf. 1954 begaben sich die Schriftsteller Patrick Kavanagh und Flann O’Brien zum ersten Mal auf die Spuren Leopold Blooms und lasen dabei Auszüge aus Ulysses, mussten sich ob der Qualität des irischen Bieres jedoch schon nach wenigen Stationen auf der langen Route durch Dublin geschlagen geben. Doch die Tradition war geboren.

Mit der Zeit wurde aus dem Bloomsday ein ganzes Festival rund um den 16. Juni, bei dem gelesen, flaniert, gegessen und getrunken wird. James Joyce war schon ziemlich stolz darauf, dass man Dublin anhand seines Romans komplett wiederaufbauen könnte, sollte dieser schönen Stadt - Gott bewahre! - etwas geschehen. Recht hatte er, denn der Bloom’sche Spaziergang durch die irische Hauptstadt ist detailliert nachvollziehbar und so kann man es ihm, gemeinsam mit zahlreichen anderen Literaturfans, gleichtun und auf diese Weise die Stadt kennenlernen.

Mit Leopold Bloom die Stadt entdecken

Los geht es am Martello Tower in Sandycove, südlich von Dublin, in dem Joyce selbst für ein paar Tage wohnte und der heute ein ihm gewidmetes Museum beherbergt. So kann man sich gleich zu Beginn der Route einen Überblick verschaffen - oder einfach den weiten Blick vom Sandycove Beach genießen. Weitere Stationen auf der Bloom-Tour sind das Postamt in der Westland Row, wo Bloom einen aufwühlenden Brief abholt, ein Spaziergang entlang der Liffey, die St Andrew’s Church, Sweny’s Chemist, heute ein Buchladen, der aber auch immer noch die Zitronenseife führt, die Joyces Protagonist kauft, und der Glasnevin Cemetery. Von dort spaziert man am Gebäude der Irish Times vorbei, biegt in die Einkaufsstraße Grafton Street ein und kehrt für eine kleine Rast in Davy Byrne’s Pub ein. Nach dem Strand von Sandymount, Holles Street und Burke’s Pub endet die Route in der Eccles Street Nummer 7, wo sich heute das James Joyce Centre befindet.

Auch die National Library of Ireland spielt im Kapitel “Skylla und Charybdis” eine Rolle. Das imposante Gebäude, das 1890 eröffnet wurde, ist schon alleine wegen seiner Eingangshalle und der in Türkistönen gehaltenen Kuppel des Lesesaals einen Besuch wert. Wenn die Festivitäten ein Ende nehmen, können Bücherwürmer bei einer Städtereise nach Dublin auch noch das Writers Museum erkunden - immerhin ist Irlands Hauptstadt auch die vierte UNESCO City of Literature.

Was nicht fehlen darf: Essen und Trinken

Für waschechte Fans beginnt am Bloomsday alles mit einem herzhaften Frühstück, doch Vorsicht: Leopold Blooms Geschmack ist nichts für schwache Nerven, umfasst sein Menü doch allerhand Innereien. Daher wird auch niemand belächelt, der lieber auf ein traditionelles irisches Frühstück umschwenkt. Ein solches kann man im James Joyce Centre einnehmen, das jährlich ein Bloomsday Breakfast veranstaltet. Was Kulinarisches betrifft, geht es auch um die Mittagsstunde interessant zu, wenn in Davy Byrne’s Pub in der Duke Street zu einem Glas Burgunder ein Gorgonzola-Sandwich serviert wird, so wie im Buch. Dass Bloom selbst lieber Wein und Cider trinkt, tut dem Guinness-Konsum an diesem Feiertag jedoch wahrlich keinen Abbruch. Die vielen Pubs Dublins müssen also unbedingt getestet werden!

Veranstaltungen für jeden Geschmack

In diesem Jahr finden die Feierlichkeiten vom 11. bis 16. Juni statt und umfassen eine Fülle von Veranstaltungen: Es gibt Führungen, Lesungen, Debatten, kulinarische Veranstaltungen vom Bloomsday Breakfast über den Afternoon Tea bis hin zum Irish Food Trail, Konzerte, Theateraufführungen, walking tours und pub crawls. Nicht zu vergessen sind die Kostüme aus der Edwardischen Zeit, die ein Muss für alle Bloomsday-Teilnehmer sind. Natürlich stehen auch James-Joyce-Doubles hoch im Kurs.

Kontrovers diskutiert, begeistert gefeiert

Zensiert, verboten, gefeiert für seine kreativen Sprachverbiegungen - Ulysses blickt auf eine wechselvolle Vergangenheit zurück. Bis heute polarisiert James Joyces Roman, erhitzt die Gemüter, weckt Begeisterung - und lebt jedes Jahr im Juni in Dublin neu auf. Der Dichter Seamus Heaney soll wohl pünktlich zu den Bloomsday-Feierlichkeiten stets die Stadt verlassen haben, weil er den Trubel nicht ertragen konnte. Doch so wie James Joyce sich unsterblich wähnte, weil Kritiker und Akademiker wohl noch Hunderte von Jahren mit dem Entschlüsseln seines komplexen Werkes beschäftigt sein würden, spiegelt sich die Vielschichtigkeit des Textes auch im Festival wider: Man kann daraus machen, was man will. Manche sehen es als witziges Kostümfest, einige (oder eher einige mehr) freuen sich über den Anlass zu Pub-Touren und andere nutzen die Gelegenheit, mehr über diese Dichternation, das “Land of Saints and Scholars” mit seiner reichen Literaturtradition zu erfahren. So oder so verspricht der Tag eine Menge craic!

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